Frauenschicksale perfekt verkörpert
Kulturgut Winkhausen:
Ein Kästner-Abend mit Barbara Hagin und Irmgard Himstedt entpuppt sich als kauzige Kapitalismuskritik
Paderborn (urm). Zart, zornig und zickig, drei kernige Adjektive, die einen kompletten Gedichtabend zusammenfassen: Die Schauspielerin Barbara Hagin und die Flötistin Irmgard Himstedt zeigten Erich Kästner am Wochenende im gut besuchten Kulturgut Winkhausen als sensiblen Frauenversteher. Ganz ohne Requisiten, ohne Headset und ohne Playback und ohne jede Anlaufschwierigkeiten.
Barbara Hagin hat das Publikum vom ersten Satz an ihrer Seite, die hintergründigen Kästnergedichte so verinnerlicht, als hätte sie sie selbst geschrieben. Das erste trägt den Titel „Ein Fräulein beklagt sich bitter“ und enthält die programmatischen Zeilen: „Fast jeder denkt bei mir an Botticelli. Ich bin nicht hübsch und bin nicht interessant. Nein, ich bin schön und dabei heiß ich Elli“. Andere Damen heißen Bertha und Erna, machen Fahrten ins Blaue, sind feine Damen, arbeiten an der Schreibmaschine oder an der Bar und sprechen im Schlaf.
Allen gemeinsam ist eine subtil und hintergründig skizzierte Fremdbestimmtheit, die bei Kästner völlig ideologiefrei daherkommt. Eine kauzige Kapitalismuskritik, die immer das Individuum im Auge behält, und genau das machen die beiden Künstlerinnen auch.
Barbara Hagin wird eins mit den Frauenschicksalen, benutzt ihr schwarzweißes Pünktchenkleid als originelles Verwandlungselement und unterstreicht mit pantomimisch gekonnten Gesten jede Pointe. Irmgard Himstedt setzt zunächst nur kleine musikalische Kontrapunkte, musiziert Klassik und thematisch passende Volkslieder, um dann immer experimenteller zu werden. Mit der Flöte erschafft sie locker sämtliche erforderlichen Hintergrundgeräusche: das Klappern der Schreibmaschine, das Anfahren eines Zuges, Motorengeräusche, Hundeknurren und dann wieder reine Perkussion. Bisweilen wird sie zur Solistin des anregungsreichen Abends, setzt experimentell die Stimme ein und erinnert stark an den musikalischen Minimalismus von Laurie Anderson.
Das passt super in die Atmosphäre der 20er Jahre des vergangenen Jahrhunderts, in denen Kästner Frauengedichte entstanden, die bisweilen so visionär wirken, als hätte der Dichter schon gewusst, was kommt. Ein spannender und textintensiver Abend, der in knapp anderthalb Stunden ganz ohne Pause über die Bühne ging und drei Zugaben erforderte. (aus Neue Westfälische Zeitung, 25.4.2016)
Große Gefühle eindrucksvoll auf der Bühne präsentiert
Anna Barbara Hagin und Irmgard Himstedt mit der Querflöte sorgten für kulturellen Hochgenuss
Geilenkirchen.
Eine Flöte, die wie ein Hund bellt. Ein Kleid, das seiner Trägerin immer wieder neue Outfits verleiht. Und Texte, die nicht wie in Stein gemeißelt ein Teil der deutschen Literaturgeschichte sind, sondern leben, lachen und leiden ließen, gehörten zum einmaligen Abend mit Erich Kästner. Genauer gesagt mit Kästners Frauen, die im Bürgersaal des Hauses Basten ebenso zeitlos wie kunstvoll ihre Auferstehung aus vielleicht längst vergilbten Buchseiten feierten.
Nur wenige Requisiten
Aber Halt: Anna Barbara Hagin als Stimme des Abends und Irmgard Himstedt als Musikerin zeigten eben, dass Erich Kästners Frauenbetrachtungen nichts an Strahlkraft verloren haben, nur weil sie mal ein paar Jahrzehnte auf Buchseiten ruhten. In knapp 90 Minuten zeigten die Damen, dass es keiner großen Bühne bedarf, um große Gefühle eindrucksvoll zu präsentieren. Vielmehr beschränkten sich die zwei Künstlerinnen darauf, nur wenige Requisiten eindrucksvoll und vielfach zu verwenden.
Links und rechts gebündelt zwei güldene Halogen-Deckenstrahler als Bühnenlicht, zwei Stühle und natürlich ein Ständer für die Manuskripte. Mittendrin eine mehr als eindringliche Anna Barbara Hagin, die mit ihren Rezitationen nicht bloße Textwiedergabe, sondern eindrucksvolle Verkörperung auf der Bühne wahr werden ließ. Kongenial eingebunden, nicht bloß am Rand hingeplätschert, war das Flötenspiel von Irmgard Himstedt.
Die Geschichte in der Geschichte
Sie spielte nicht nur leichtfüßig, sie schnaubte, blies, bellte in ihr Instrument, nahm es sogar auf der Bühne auseinander, sorgte mit immer wieder neuen szenisch eingestreuten Geräuschen für passende Klangkulissen. Noch mehr: Himstedt sorgte für eine Ausdehnung der Texte auf eine übergeordnete Ebene, machte das Gehörte zum Erlebten, zur Geschichte in der Geschichte. Dafür sorgte auch das Kleid der Hagin: Es ließ sich mannigfach falten und binden, spiegelte die Eleganz, die Einfachheit oder die Emotionen seiner jeweils verkörperten Trägerin wider und band sich so in ein Gesamtkunstwerk ein, das von zwei Frauen für die vielen Kästnerschen Frauencharaktere stand.
Leichte Mädchen, Waschfrauen, feine Damen und mehr oder minder frustrierte Mütter gehörten dazu. Und dabei fiel es höchstens an den genutzten Worten, aber nie an der transportierten Emotion auf, dass die Texte vor mehr als 90 Jahren in Berlin spielen. Schwärmen, Leiden, Lieben, all das brachten Hagin und Himstedt so beeindruckend zeitlos auch auf die kleine Bühne im Haus Basten, dass nicht nur Ulla Louis-Nouvertné von der Anton-Heinen-Volkshochschule (VHS) des Kreises Heinsberg immer wieder auch zwischen den Stücken Applaus spendete.
Aus: Aachener Zeitung 17.10.20013
Zornig und zickig – und gekonnt Velbert -
Wieder mal ein literarisch-musikalischer Kleinkunstabend stand auf dem Programm im „AlldieKunst“- Haus.
Die Bochumer Schauspielerin und Autorin Anna Barbara Hagin präsentierte mit der Querflötistin Irmgard Himstedt eine Zusammenstellung poetisch-satirischer Texte aus der Feder von Erich Kästner. Der Dresdner schrieb eben nicht nur höchst erfolgreich Kinderbücher wie „Emil und die Detektive“ oder „Das doppelte Lottchen“, sondern hielt als Kabarettist auch ein sehr waches, immer wieder zwinkerndes Auge auf die deutsche Vor- und Nachkriegsgesellschaft. Dienstmädchen, Tippsen, feine Damen Aus dem riesigen Repertoire des ewigen Junggesellen wählten das Duo eine höchst vergnügliche, wenn auch tragisch grundierte Sammlung mit Texten über Frauen. Da ist die kaltschnäuzige „Ellen von der Bar“, die eher unfröhlich „Schnaps im Kreis der Greise“ trinkt und auch schon mal mit einem aufs Zimmer geht, denn „es lohnt sich finanziell.“ Da tauchen Dienstmädchen, Tippsen und sogenannte „feine Damen“ auf, und Barbara Hagin schlüpft ganz mühelos und teils mit minimalistischem Spiel in jede dieser Figuren. Sie ist dabei so ungekünstelt und charmant, dass es eine Freude ist, sie diese menschlich wie sprachlich einzigartigen Texte sprechen zu sehen. Wenn „die Fenster gähnen und sich Gardinen vor die Münder halten“, wenn die Blätter „im Dienst ergrauen“, dann trifft sie mit ihrer weichen, sehr weiblichen Stimme immer wieder genau den Ton, der berührt und amüsiert. Begleitet wird sie von der Flötistin Irmgard Himstedt, die mit oftmals komischer Virtuosität die jeweilige Atmosphäre dieser Kästnerschen Blicke aufs weibliche Volk seiner Epoche auch musikalisch hörbar macht. Ja, Kästner war ein äußerst feinsinniger, aber auch bodenständiger Gesellschaftskritiker: Sehr wahrscheinlich hätte auch er an diesem Abend im „AlldieKunst“-Haus seine Freude gehabt. (aus WAZ, 18.11.2014 Lisa Bianchini)